Könnte es sein, dass es in meinem Blog diesmal spießig wird? Bin mir da nicht sicher. Aber wurscht, denn da sind ein paar Dinge, die aufgefallen sind. Und zwar bei der »FirstContact 2024«. Die fand Anfang April in den Deggendorfer Stadthallen statt und ist Bayerns größte von Studierenden organisierte Karrieremesse. Wie jedes Jahr 1a organisiert vom gleichnamigen Studentischen Verein »First Contact e.V.«. Hut ab! Da ich selbst zehn Jahre für einen internationalen Konzern Messeauftritte geplant, organisiert und realisiert habe, sag ich das als Experte. Also nicht nur so ne Meinung, die ja heute alle über alles haben, auch wenn sie de facto nix wissen. Und voila, schon sind wir bei meinem Thema: Es geht diesmal um »Appearance«.
Einfach mehr Respekt.
Eines möchte ich vorwegschicken. Das, was ich hier schreibe, basiert auf anekdotischen Schlaglichtern. Auf einzelnen Feedbacks, auch wenn nicht nur von Einzelfällen die Rede ist. Keineswegs möchte ich das pauschal von euch verstanden wissen. Aber wie es eben so ist, mit den Eindrücken. Erst recht in unserer Gesellschaft, emotional aufgeladen bis zum geht-nicht-mehr und zunehmend versuchend, Komplexität mit Schubladendenken zu verringern. Aber die Kritik von außen ist es wert, unter die Lupe genommen zu werden. Denn, wenn Unternehmen nicht nur Probleme haben, die richtigen Leute in ausreichendem Umfang zu finden, sondern obendrein auch noch das Gefühl gewinnen, dass man ihnen zu wenig Respekt zollt, dann werden sie in Zukunft vielleicht darüber nachdenken, ob sie wieder kommen sollen. Ich hoffe deshalb, der herbe Vorschlag, im nächsten Jahr Türsteher (oder Türsteherinnen) zu engagieren, war nur eine vorübergehende Frustexplosion.
Dressed for success?
Wir alle sind umgeben von einem sogenannten »Universe of Appearance«. Es erzeugt eine Wirkung auf unsere Mitmenschen – formerly known as »Der erste Eindruck«. Man mag uns oder mag uns nicht, man findet uns sympathisch oder eben nicht. Mehr oder weniger unwillentlich. Dito umgekehrt. Wie passend also, dass die eingangs erwähnte Veranstaltung »First Contact« heißt. Weil: Unternehmen, wie schon im Vorjahr rund 160 an der Zahl, treffen auf Studierende. Zum ersten Mal. Da fände ich persönlich es irgendwie clever, dass ALLE ihr »Universe of Appearance« sauber aufpolieren, fürs erste Mal. Nicht nur, weil es schön ist, wenn das Gegenüber einen mag. Sondern schon irgendwie auch, weil es hier um Business geht. Um Jobs. Um Geld. Darum, möglicherweise in Zukunft ein Unternehmen und seine Produkte, dessen Image, dessen »Universe of Appearance« angemessen zu repräsentieren. Warum also, fragt sich deshalb der eine oder andere Aussteller ein wenig konsterniert und durchaus berechtigt, sind dann hier so viele junge Leute »Dressed to chill«? Bauchfrei und in Jogginghose? Susanne Nickel, Wirtschaftsmediatorin und Expertin für Arbeit und Wandel, argumentiert in ihrem aktuellen Buch mit spürbarem Furor – gegen die Wurschtigkeit der GenZ (da ist sie übrigens wieder, die Schublade), die auf dem Arbeitsmarkt ihre Macht ausspiele. Aber sie kritisiert auch Unternehmen, die sich vor dieser Generation – immerhin mehr als zwölf Millionen Menschen stark und daher mit ihrem Willen oder eben auch ihrem Unwillen für die Zukunft des Landes ein entscheidender Faktor – in den Staub werfen würden. Ihre Lösungsvorschläge für beide Seiten finde ich spannend. Aber das könnt ihr ja googeln – nein, halt! Ihr müsst wohl das Buch lesen. Eh besser.
Und weil die Trendstudie “Jugend in Deutschland 2024: Verantwortung für die Zukunft? Ja, aber“ gerade so hohe Wellen schlägt, schiebe ich auch das hier noch in diesen Spin: Wie irreführend doch besagtes Schablonendenken ist. Die gleiche Generation, von der laut einer (weiteren) Studie fast 50 Prozent sagen, sie seien „nicht so leistungsfähig“, würde aktuell zu 20 Prozent rechtsextrem wählen (Tendenz massiv steigend). Also einer politischen Weltanschauung folgen wollen, die die bedingungslose Leistungsbereitschaft des Individuums für die Gemeinschaft mit ganz oben auf der Agenda stehen hat. Und ihr nennt uns cringe? 😉
Da will man einen kleinen Post über eine Veranstaltung machen und schon lande ich mitten in der tragischen Tagespolitik. Also zurück in die Deggendorfer Stadthallen, respektive zum Thema Dress-Code und zu ner kleinen Anekdote aus meinem Leben an der Schnittstelle zwischen Boomer und Gen X: Bei einem Arbeitstreffen hieß jener Dress Code „Business Casual“. Ein Kollege, wegen seines nach Meinung des Workshop-Leiters unangemessenen Outfits direkt angesprochen, meinte: „Wieso? Business Casual.“ Darauf der Workshop-Leiter: „Ja, Business Casual. Aber nicht Gartenarbeit!“ OK, das war schon mächtig fies, aber ihr wisst, was ich meine. Längst heißt es heute nicht mehr Anzug und Krawatte für die Kerle und Kostümchen für die Damen. Und das finde ich auch ziemlich cool. Eben weil Kleidung auch eine Art ist, zu kommunizieren, und weil sie bei entsprechender Individualität eben Möglichkeiten bietet, sich jenseits von öder Uniformität zu artikulieren. Aber dennoch, vergesst dabei den Kontext nicht. Bauchfrei und Jogginghose sind eben nicht business casual, sondern chill-out-area. Kleidung ist schließlich auch ein Ausdruck von Respekt. In diesem Fall Respekt gegenüber den Unternehmen, die in ihren Auftritt bei einer Karrieremesse investieren, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schicken, um Menschen mit Potential kennenzulernen. Und zum individuellen Potential in der Arbeitswelt gehört halt auch ein gewisses Erwachsensein. Manche nennen die GenZ ja deshalb Peter-Pan-Generation. Weil Peter Pan, der wollte nie erwachsen werden. Was jetzt auch wieder irgendwie lustig ist, denn der Titel „Berufsjugendliche“ gehört ja eher ins Tagging-Arsenal der GenX. Allerdings, kleines Systemdribbling: Der „Berufsjugendliche“ ist entgegen seiner wortwörtlichen Bezeichnung nur in seiner Freizeit forever young, im Beruf aber lieber konservativ unauffällig. Da soll sich einer auskennen.
Seid Ihr interessiert?
Nicht weit vom gechillten Look entfernt, war anscheinend auch so manches Mal die dialogtechnische Appearance. Eine nicht so verkehrte Ansprache bei einer Karrieremesse wäre meiner Meinung nach zum Beispiel: „Ich habe mich im Vorfeld schon über Ihr Unternehmen informiert und freue mich deshalb Sie heute persönlich kennenlernen. Ich studiere XY und frage mich, wo in Ihrer Firma ein interessanter Platz für mich sein könnte? Wo ich etwas gestalten und bewegen kann!“ Stattdessen ziemlich oft und ziemlich lapidar: „Können Sie mir etwas über Ihr Unternehmen erzählen?“ WHAT? Nicht euer Ernst, oder? Deutlicher kann man mangelnde Vorbereitung und eher vages Interesse eigentlich nicht dokumentieren. Und logischerweise schwingt hier für die Firmen dieses Kokettieren mit der Macht 👆 mit, dem sie sich so sehr ausgesetzt fühlen: „Hier bin ich, jetzt macht mich mal an.“ Apropos macht. Dass sich die Machtverhältnisse so krass verschoben haben, diametral sogar, das betrachte ich mit einem verschwörerischen Grinsen. Schließlich kenne ich die Zeit, als es die Gefeuerten oder die Jobsuchenden waren, die oft im Staub der gottgleichen Shareholder Values lagen. Was ich allerdings kritisch und alarmierend finde, ist tatsächlich das, was Susanne Nickel eine dramatische „Veränderung der Wertigkeit von Arbeit“ nennt. Ich meine, eine Karrieremesse zum Beispiel, das ist kein Jahrmarkt, wo man sagt, „lass einfach mal rüber schauen und checken was geht!“ Und alle, die spätestens jetzt Schnappatmung kriegen und mir ein „So bin ich überhaupt nicht!“ entgegenschleudern, Chapeau! Genau Euch brauchen wir. Danke, dass ihr da seid. Alle anderen, macht es bitte einfach beim nächsten Mal besser.
Die Welt ist global
Als ich da im April durch die beiden Hallen gelaufen bin, war ich auch beeindruckt davon, dass so viel Englisch gesprochen wurde. Unheimlich viel Englisch sogar. Wie cool, dachte ich. Sehr international, in Niederbayern. Und da war auch sehr positives Feedback von beteiligten Firmen, denn gerade bei jüngeren Unternehmen ist es normal, je nach Bedarf Deutsch oder Englisch zu sprechen. Aber freilich hat auch diese Medaille ihre Kehrseite. So, wie manche es toll fanden, waren andere Unternehmen damit nicht ganz so happy. Sie würden Leute suchen, die neben Englisch eben vor allem auch Deutsch können. Kann man nachvollziehen. Denn selbst wenn einige Firmen globale Spieler sind und Niederlassungen in der ganzen Welt haben, der Startpunkt, der ist eben mal hier. In Deggendorf, im Bayerischen Wald, in Ostbayern. Sprache ist eine Kernkompetenz. Kürzlich, bei der Benennung der neuen Vizepräsidentinnen und -präsidenten wurde deutlich, dass auch die Hochschule hier Handlungsbedarf sieht und mehr Verantwortung übernehmen möchte. Mit Frau Professor Martina Heigl-Murauer haben wir daher jetzt eine Vize-Präsidentin für Internationalisierung und Integration. Ihre Aufgabe und die ihres VP-Partners, Prof. Dr. Marcus Herntrei, zuständig für die Studierendenangelegenheiten, ist sicherlich keine leichte. Man darf gespannt sein.
Postscriptum
Zum Abschluss noch eine kleine Geschichte (wenn man so will: Dressed to grill). Sie liegt lange zurück, aber bei mir hat sie ihren festen Platz im episodischen Gedächtnis: Es ist ein Opernabend, im Freien (für mich quasi Auswärtsspiel, weil sonst Park statt Schloss und Rock statt Oper). Der Klimawandel sprenkelt schon damals unser Leben vereinzelt mit heftigen Hitzetagen. Auch heute, nach 20 Uhr, zeigt das Thermometer noch immer eine Temperatur von knapp unter 30 Grad. In der Reihe direkt vor mir ein junger Mann. Er trägt in Würdigung des Anlasses, der Musik, des Orchesters, des Publikums oder vielleicht auch einfach seiner Begleitung Anzug, Hemd, Krawatte. Pikobello. Der Kragen eng, die Hautfalten darüber stapeln sich zu einer Art Burger auf. Das schwarze Haar ist kurz geschnitten, mit etwas Gel fein drapiert. Während die Musik sich in drückender Hitze zu epischer Würde aufschwingt, spielt sich auch vor meinen Augen ein kleines Schauspiel faszinierender Würde ab. Am Hinterkopf des jungen Mannes bilden sich Schweißtropfen. Erst ganz klein, dann größer werdend wandern sie quasi im Zeitlupentempo zu den Haarspitzen, wo sie sich schließlich der Schwerkraft folgend lösen, über die Hautfalten kullern und am Ende im Hemdkragen versinken und ihr kurzes Leben aushauchen. Eine nach der anderen. Der junge Mann rührt sich nicht einen Millimeter. Legt sein Jackett nicht ab, wie alle anderen, löst nicht die Krawatte, öffnet nicht den Knopf ganz oben am Hemd. Still und irgendwie erhaben erträgt er die Misslichkeit und die eigentlich unerträgliche Wärme. Respekt.
Jörg Kunz
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse oder Trends und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.