Mitte Dezember habe ich mich bemüßigt gefühlt, meine Corona-Geschichte auf meiner Facebook-Seite zu teilen. Um meine Community wachzurütteln – vor allem die immer noch Ungeimpften und angesichts der damaligen Quote von rund 60 Prozent in meinem Heimatlandkreis. Begleitet von einem Link zu einem Artikel im Guardian mit dem folgenden Titel „Billie Eilish: I would have died from Covid-19 if I hadn’t been vaccinated.“ Wie ich das alles selbst erlebt habe, steht hier.
Infektion
Im November enterten per aerosolem Kopien der Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus meinen Körper, als hier im Landkreis Freyung-Grafenau Inzidenzen von etwa 1.700 herrschten. Wir waren Bundesspitzenreiter. Man hätte meinen können, das Virus würde zur Haustür hereinkommen, wenn man sie nur öffnete. Ich war schon auf der Hut gewesen, daher habe ich jeden Tag Nasen-Schnelltests gemacht. Alle immer negativ, sogar noch am Tag des Symptombeginns. Hätte ich mal lieber im Rachen getestet. Ein Glück: Dank FFP2-Maske haben meine beiden engeren Kontakte an den Vortagen und am Tag des Symptombeginns trotz gemeinsamem, längerem Aufenthalt in relativ kleinen Räumen keine Infektion erlitten.
Achterbahn
Das Virus startet seine Wirkung am 17. November abends mit einer heftigen Bindehautentzündung als Erstsymptom. Von einer Sekunde auf die andere sind meine Augen superknallrot, fast schon neonorange. Das Virus hat also Gefäße bis runter zu den Kapillaren angegriffen. Dann überfallen mich total seltsame Magen-Darm-Symptome. Dazu Kopf- und Gliederschmerzen, weil COVID hat auch mein Muskel- und Nervensystem nicht außen vor gelassen. Voll geschockt (ich WEISS einfach, dass ich mit SARS-CoV-2 infiziert bin) liege ich erstmal mit leichtem Fieber flach und weiß nicht, wie mir geschieht. Ich weiß nicht, wohin ich steuern werde – der Beginn einer Achterbahnfahrt! Weil wie ein regulärer grippaler Winterinfekt fühlt sich das ganz und gar nicht an! Am eigenen Leib wird mir klar: Nicht umsonst heißt es „neuartiges Coronavirus“.
Atem Not
Langer, tiefer Schlaf in der ersten Nacht. Am nächsten Nachmittag, nachdem ich am Morgen das positive PCR-Test-Ergebnis erhalten habe, die erste Luftnot-Episode – Strangulation light (Virus hat jetzt das Lungengewebe angegriffen). Atmen wie durch ein dickes Geschirrtuch. Atmen wie durch einen Strohhalm. Starr vor Panik beginne ich sofort eine Krankenhaustasche zu packen. Zombiesk, in absoluter Zeitlupe. Der Horror, nicht zu wissen, wohin die Reise geht, ist wieder da. Und nicht zu wissen, wie lange die Luftnot dauern wird. Fühle mich erschöpft, aber liegen ist ganz unmöglich. Stattdessen stundenlang sitzen und stehen und gehen, um besser atmen zu können. Es ist ein entsetzliches Gefühl, nicht genügend Sauerstoff in sein System zu bekommen. Atmen. Ruhig atmen. Geht schon vorbei. Geht schon vorbei. Ich muss mich selbst beruhigen wie eine Mutter ihr krankes Kind.
Diese Luftnot-Episoden kommen jetzt jeden Tag zigfach. Allmählich schaffe ich es, zu verinnerlichen, dass sie nach einiger Zeit wieder abklingen. Es gelingt mir, die Panik zu ersticken.
96 Prozent
Am 7. Tag wird es dann noch einen ganzen Zacken wilder. Erneut superalarmiert suche ich den Hausarzt auf. Infektionspraxisräume brechend voll – Junge, Alte und sehr Alte. Röhrnbach ein Hotspot in der Hotspot-Region. Warten mit Atemnot und FFP2-Maske. Sauerstoffsättigung des Blutes messen, darum geht es mir. Das Ergebnis: 96 Prozent. Wow, beachtlich gut, angesichts der 20 Minuten Wartezeit mit der Maske in der stickigen Praxis. Nun kann ich meine Luftnot mit einem Zahlenwert korrelieren und werde zuversichtlicher. Ich bin in einer sehr guten Lage! Ich werde noch zuversichtlicher, nachdem ich den Arzt gefragt habe, wie hoch denn die Wahrscheinlichkeit sei, dass sich mein Zustand noch verschlechtern würde. Er meint, dass ich angesichts dessen, dass ich zweimal geimpft bin, nur mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit jetzt noch eine Verschlechterung zu befürchten habe. Hingegen wenn ich ungeimpft wäre, wäre es typisch, dass es zwischen Tag 7 und 10 nochmal richtig bergab geht. So richtig bergab.
Danke Gott für die Impfung
Da war ich wirklich nachhaltig beruhigt. Der jetzt folgende Satz trieft vor Pathos, aber ich meine das und es war genau so: Nicht der erste Moment, dass ich Unreligiöse „Gott auf Knien“ für die Impfung gedankt habe. Auch wenn bei mir fünf Monate nach der Zweitdosis ein Durchbruch aufgetreten ist. Meinem Gefühl nach habe ich trotz der subjektiv schlimmen Erfahrung nur ein geringes Maß an Symptomwucht abbekommen, zehn Prozent schätze ich jetzt mal ganz ehrlich. Ich fühlte mich extrem geschützt durch die Impfung, die ganze Zeit! Das Virus erschien mir wie in einem Marmeladenglas gefangen, schrappte nur an meiner Oberfläche, war untergeduckert, in die Knie gezwungen und konnte nicht ungebremst wüten. Aber hätte es wüten können – und jetzt muss ich wieder pathetisch werden – dann hätte mir ohne jeglichen Zweifel „Gott“ gnaden müssen! Ich war die ganze Zeit weder bettlägerig noch richtig malad wie bei einer Influenza, mir war aber sehr klar, dass ich mich einhundertprozentig schonen muss, um den Status quo aufrecht zu erhalten, meinem Körper die Energie zu lassen, das zu managen. So vegetierte ich tagelang dahin wie in einem Zeitloch. Auch aufgrund des Schocks, dass ICH JETZT WIRKLICH UND TATSÄCHLICH diese Seuche eingefangen hatte, dass ES da war! Es fühlte sich die ganze Zeit total unwirklich, unheimlich und gruselig an!
Brain Fog
Am 01. Dezember wurde ich negativ getestet. Ich war insgesamt dreieinhalb Wochen krankgeschrieben. Die Gelegenheit, endlich mal wieder ein Buch nach dem anderen zu lesen, wäre günstig gewesen, aber leider war es vollkommen unmöglich! Der Grund: BRAIN FOG, Nebel im Gehirn. Der bis heute da ist. Das braucht kein Mensch! Die schlimmste Ausprägung: Man wacht morgens auf und weiß in den ersten Momenten nicht, wer man ist, wo man ist und was das für ein Geräusch ist (der Wecker). Man kommt schlecht bis gar nicht aus dem Bett. Produktivität, wenn überhaupt, ist erst ab Mittag möglich. Es gibt ganze Tage, an denen man absolut gar nichts auf die Kette bringt. Man geht zum Beispiel in die Küche, mit einem Plan. Dann steht man da und weiß nicht mehr, was man eigentlich wollte. Plötzlich absolute Unlust und ein Gefühl von Entmutigtsein. Keine Kraft. Was man wollte (ich entsinne mich nebulös), will man dann nicht mehr, kann man dann einfach nicht. Das Gehirn agiert wie autonom in einem weit entfernten, dicken Wolkenfeld. Ich hatte auch viel Kopfschmerzen (Typ Stricknadel im Schädel, vom Nacken bis zur Schädeldecke). Was hat das Virus bloß in meinem Nervensystem (und anderswo) angerichtet und wird es reversibel sein, ganz ausheilen? BRAIN FOG ist wirklich übel, wenn man konzentriert mit dem Kopf arbeiten muss. Nicht auszudenken, welchen Verlauf die Infektion insgesamt genommen hätte, wäre ich ungeimpft gewesen.
Spiel mit dem Feuer
Aus meiner Sicht: Die Impfung ist ein Segen, und ein Privileg sowieso! Und ich sage: Es ist leichtsinnig, ja eigentlich ganz schön waghalsig, sich als Erwachsener nicht impfen zu lassen, wenn man sich impfen lassen könnte. Es zuzulassen, dass dieses unberechenbare Virus (auch die vermeintlich mildere Omikron-Variante) auf seinen unvorbereiteten, naiven Körper einschlagen kann! Russisches Roulette, playing with fire! Verlauf und Ausgang sind immer ungewiss. Long-COVID kann wirklich enorme Behinderungen hervorrufen. Es wird in der Diskussion so häufig vergessen. Dessen Vermeidung ist schließlich auch ein Ziel der Impfkampagne. Es ist mir wichtig, dies herauszustellen. Es steht zu befürchten, dass dieser brandgefährliche Erreger subklinische Langzeit-Schäden in allen möglichen Organsystemen anzurichten in der Lage ist.
Esther Kinateder
Esther Kinateder arbeitet seit 2014 am Zentrum für Angewandte Forschung (ZAF) der THD. Die ausgebildete Übersetzerin und ehemalige cand. med. ist Mitarbeiterin im Team »Wissenschaftskommunikation« im Rahmen des Projekts TRIO der ostbayerischen Hochschulen. Nebenbei ist Esther Kinateder Lektorin/Redakteurin für medizinische Fachliteratur eines renommierten Fachverlags.