Nein, dieser Beitrag wird nicht von der Corona-Pandemie und Impfgegnerinnen und -gegnern handeln. Ich möchte diesen Blogbeitrag nutzen, um über spezifische Phobien zu sprechen. Anlass für mein Interesse an diesem Thema ist eine erstaunliche persönliche Erfahrung aus dem vergangenen Jahr, als ich mit einer Freundin gemeinsam beim Impfen war: Im Vorfeld hatte sie mir bereits davon berichtet, dass sie Konfrontationen mit medizinischen Nadeln, zum Beispiel bei Blutabnahmen oder bei Spritzen als äußerst unangenehm empfindet. Solche Termine seien bei ihr häufig problematisch gewesen. Tatsächlich war es dann auch beim Impfen nicht anders. Es hatte mehrere Anläufe gedauert, bis die Dosis verabreicht werden konnte. Man konnte sehen, welch eine unfassbare Überwindung sie es kostete.
Der blanke Horror
Ich hab meine Freundin gefragt, wie sich das so anfühlt. Ihre Antwort war ergreifend und irgendwie erschreckend zugleich: „Bereits im Wartezimmer gehen die Anzeichen los. Schwitzige Hände, innerliche Unruhe. Ein einziger Gedanke an das, was mir bevorsteht. Mir schießen die ersten Tränen in die Augen. Ist es dann so weit und die Nadel wird angesetzt, breche ich richtig in Tränen aus. Ich werde panisch. Verspüre den Impuls, der Situation zu entfliehen. Manchmal ziehe ich dann auch meinen Arm zurück. Der Gedanke an den Nadeleinstich und das kurzeitige Verbleiben der Nadel im Arm? Unerträglich! Ekel! ICH WILL DAS EINFACH NICHT! Und alles, obwohl ich doch eigentlich weiß, dass nichts Schlimmes dabei ist. Nach der Impfung kann ich mich dann zum Glück wieder schnell beruhigen.“ Generell meinte sie: „Den Akt an sich finde ich eigentlich gar nicht so schlimm. Aber die Vorstellung davon, das ist für mich der pure Horror. Vor Kurzem wurde mir gesagt, dass ich genäht werden muss. Noch in derselben Sekunde wurde mir so schlecht und schwindelig, dass ich mich auf den Boden setzen und weinen musste.“
Die Welt der Phobien
Gemeinsam haben wir uns also die Frage gestellt: was könnte man gegen diese Angst machen? Inwiefern könnte möglicherweise eine Psychotherapie dabei helfen? Sich auf die klassische »Therapie-Couch« setzen und nur darüber reden, wird wohl kaum die Angst lindern. Im Rahmen meines Wirtschaftspsychologie-Studiums an der THD hatte ich idealerweise die Chance, durch das Wahlpflichtfach „Psychische Störungen im Spielfilm“ einen genaueren Einblick in die Welt der Phobien zu bekommen. Für diejenigen unter euch, die sich genauso wie ich für die klinische Psychologie interessieren, hier also zunächst ein paar offizielle Kriterien. Sie sollten dabei helfen, eine etwas konkretere Vorstellung von dieser Art von psychischer Störung zu bekommen.
Bis hin zur Ohnmacht
Typischerweise löst eine solche Blut- und Verletzungsphobie, wie meine Freundin sie wohl hat, körperliche Reaktionen wie Blässe, Schwitzen oder Übelkeit bis hin zur Ohnmacht aus. Menschen, die damit zu kämpfen haben, tendieren dazu, den Kontakt zu Ärzten und Behandlungen zu meiden. Bei Frauen kann das sogar so weit gehen, dass sie Schwangerschaften vermeiden, obwohl sie sich ein Kind wünschen würden!
Bin ich Phobikerin?
Ob eine Phobie vorliegt, entscheidet sich an ein paar festgeschriebenen Kriterien: Zum Beispiel daran, ob jemand starke und anhaltende Angst vor etwas hat, die übertrieben und unbegründet ist. Die Betroffenen bekommen sofort Angst, wenn sie das Objekt (wie eine Spritze oder einen Bohrer beim Zahnarzt) sehen oder eine auch nur eine solche Situation erwarten. Tatsächlich wissen die betroffenen Personen sogar, dass ihre Angst unangemessen ist. Dennoch vermeiden sie die phobischen Situationen oder – wenn dies nicht möglich ist – ertragen sie nur unter starker Angst oder Unbehagen.
Der Anfang
Etwa drei Prozent von uns leiden an einer sogenannten Blut-Spritzen-Verletzungs-Phobie. Bei Kindern und Jugendlichen ist der Anteil viel höher. Der Beginn beispielsweise der geschilderten Blutphobie wird im Alter zwischen neun und 21 Jahren vermutet. Interessanterweise berichtet auch meine Freundin darüber, als Kind noch keine Probleme mit Impfungen gehabt zu haben. Bei den meisten Menschen verschwindet diese Phobie wieder.
Das Ende – Psychologie & Virtual Reality
Nun aber zurück zu meiner Eingangsfrage und zu möglichen Lösungsansätzen für das geschilderte »Nadel-Problem« meiner Bekannten. Im Seminar habe ich erfahren, dass sich bisher besonders sogenannte kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung von Phobien bewährt haben. Betroffene lernen dabei in professioneller therapeutischer Begleitung, anders, neu auf die Angstauslöser zu reagieren. Ein Teil der Therapie ist es dabei, sich der angstauslösenden, aber ungefährlichen Situation gemeinsam auszusetzen, und die Erfahrung zu machen, dass die unerträglichen Gefühle von allein weniger werden. Für die Betroffenen entspricht dies dann einer positiven Erfahrung, im Sinne von „es ist ja gar nichts schlimmes passiert!“ Und die Therapie funktioniert anscheinend total gut! Wie soll jetzt aber eine solche Konfrontation mit einer medizinischen Nadel ablaufen? In einem Bericht über die schrittweise Exposition mit einer Blutabnahme, den ich gelesen habe, wurde dies folgendermaßen erläutert: Zunächst werden die Betroffenen mit rein visuellen Reizen, also Videos über Blutabnahmen konfrontiert. Als Nächstes folgen Nadelstich-Übungen in „real life“. Die sollen dann wiederum auf die abschließende tatsächliche Blutabnahme vorbereiten. Bei meinen Recherchen zu möglichen Behandlungsformen bin ich im Internet darüber hinaus auf »Virtual Reality-Therapien« gestoßen, die es für andere Phobien wie die Höhenangst schon gibt. Meine Neugierde war geweckt. Der Vorteil daran? Mit Hilfe von VR-Brillen kann jede Situation zu jeder Zeit ortsunabhängig für die virtuelle Konfrontation erzeugt werden. Obwohl sich die Patientinnen und Patienten dabei in einer künstlichen Welt bewegen, berichten sie von vergleichbar realistischen Angstreaktionen. Der Ansatz scheint also durchaus vielversprechend für die Zukunft der kognitiven Verhaltenstherapien zu sein, vielleicht sogar für die Blut-Spritzen-Verletzungs-Phobie. Ich bin gespannt mehr davon zu hören. Das Gute ist in jedem Fall, dass man jetzt schon Betroffenen super helfen kann.
Theresa Himmelstoß
Theresa Himmelstoß ist Studentin der Angewandten Wirtschaftspsychologie an der Technischen Hochschule Deggendorf. Neben den regulären Studieninhalten im Bereich der Psychologie interessiert sie sich ganz besonders für Einblicke in die klinische Psychologie. Nach ihrem Studium möchte sie gerne im Gesundheitsmanagement tätig werden und präventiv zur psychischen Gesundheit ihrer Mitmenschen beitragen.