Was hat die Wissenschaftskommunikation aus der Corona-Pandemie gelernt? Wir dachten ja immer „Just follow the science“ und alles ist gut. Aber so einfach, wie es klingt, und so einfach wie wir uns das wünschten, ist es eben nicht. Denn wissenschaftliche Studien können in vollkommen unterschiedlichen politischen (!) Schlussfolgerungen und Entscheidungen münden. Und das, meine Lieben, trifft definitiv nicht nur auf eine Pandemie zu, auch wenn diese uns hier als Exempel dienen mag.
Brandbeschleuniger in der Krise
Zumindest bis zum Zeitalter des Internets waren es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigentlich nicht gewohnt, Widerspruch von Laien zu bekommen. Oder mit diesen gar öffentliche Debatten über ihre Arbeit zu führen. Man hat sich höchstens mal bei einem »Tag der offenen Tür« der Gesellschaft präsentiert. In einem Heimspiel, umgeben von Maschinen, Apparaturen und Gerätschaften, die alleine für sich schon größte Ehrfurcht auslösten. Umgekehrt wäre in jenen Tagen natürlich auch kein Normalo auf die bizarre Idee gekommen, als Laie wissenschaftliche Thesen zu hinterfragen. Beziehungsweise diese mit irgendwelchen Gegenthesen anzufechten. Und das sogar öffentlich, vor einem globalen Publikum. Dafür hätte man schließlich i.) eine Universitätsbibliothek aufsuchen müssen, ii.) wissen müssen, wo und wie recherchieren und iii.) verstehen müssen, was in all den Papers so steht und wie es zu interpretieren ist. Das ist heute natürlich ganz anders. Ersteres entfällt komplett. Weil, die »YouTube-Uni« reicht ja. Zweiteres liefert einem die eigene Bubble frei Haus. Via Twitter, Facebook, Telegram oder eben YouTube. Und letzteres bleibt, was es schon immer war: Bahnhof. Macht aber nix, mitgeredet bzw. getweetet und gepostet wird heutzutage dennoch. In Anlehnung an Winston Churchill: Noch nie haben so viele so viel Unwissen mit so wenig Scham ob ihres Bildungsmangels in den „sozialen“ Äther geblasen. Oder wie es der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit kürzlich bei einem Meeting von »Wissenschaft kommuniziert« so klar formulierte: „Social Media wirken [in einer Krise] als Brandbeschleuniger“. Und damit sind wir mitten im Thema.
Konsens nicht mal bei den Basics
Das Internet und insbesondere die Sozialen Medien haben heute in vielen Bereichen eine toxische Kommunikationsarena geschaffen. Im Falle von Covid konnten wir nicht mal mehr bei einfachsten Fakten einen gemeinsamen Nenner erlangen. So sieht es jedenfalls Dietram A. Scheufele, Professor für Wissenschaftskommunikation an der University of Wisconsin. Er berichtete in einem Vortrag von einer repräsentativen Umfrage, die im April 2020 in den USA gemacht wurde. Die Frage damals: „Glauben Sie, dass die Zahl der Covid-Toten über, unter oder auf dem Level liegt, das behördlicherseits veröffentlicht wird?“ Demokraten Wähler waren mehrheitlich (63 Prozent) der Meinung, dass es sicherlich mehr Tote gibt. Klar, Trump war damals noch Präsident und „Trump ist ein schlechter Präsident“. Bei den republikanischen Wählern wiederum glaubten nur 24 Prozent, dass es mehr Tote gibt als angegeben. Auch klar, „weil Trump ist ein guter Präsident“. Dieses Bild legt schon mal ein paar Dinge offen: Politische Gesinnung überlagert Rezeption und Meinungsbildung. Wir (alle) wollen prinzipiell gerne hören, was wir eh schon glauben. Auch wenn eine Information aus der Wissenschaft kommt. Gibt es einen Dissens mit der eigenen Perspektive, kann das für die einen bedeuten, ihr Weltbild ein Stück weit nachzujustieren. Das wäre dann wirklich „Just follow the science“. Bei anderen hingegen bestärkt der Dissens sogar ganz besonders das eigene Weltbild. Denn das ist genau das Narrativ aller Verschwörungstheorien: „Die bösen Mächte wollen Euch etwas weismachen. Glaubt es nicht, Ihr wisst es besser“. So weit, so schlecht. Besonders bemerkenswert, so Scheufele, sei bei dieser Umfrage allerdings gewesen, dass im Mittel über alle politischen Lager hinweg, nicht mal ein Drittel (32 Prozent) die offiziellen Zahlen für wirklich valide hielt. Was für ein Misstrauensvotum ist das denn bitte?!
Wie soll sich aber nun die Wissenschaft zukünftig in dieser Arena verhalten? Wie soll sie beispielsweise mit Fake-Informationen oder Halbwahrheiten umgehen? Dazu hat sich Scheufele, wie ich finde, sehr interessante Gedanken gemacht.
These eins: Ist digital auch echt?
Es gibt keinerlei Evidenz, dass Desinformationen in den Sozialen Medien oder im Internet tatsächlich Impact auf relevante Verhaltensweisen haben. Die Masse der Menschen hat sich während der Pandemie an Social Distancing, an das Tragen von Masken und auch an das Impfen gehalten und ist somit simply der Wissenschaft gefolgt. Allen gegensätzlichen Kampagnen zum Trotz. Hätte also die alleinige Information aus der Wissenschaft – „Tragt Masken, haltet Abstand, lasst Euch impfen“ – ausgereicht? Ohne endlose und sinnlose und Zeit fressende Grabenkämpfe mit wirren Köpfen auf sämtlichen Kanälen. Und wie ich persönlich finde, auch ohne den wissenschaftlich-kontroversen Diskurs mit den Peers coram publico. So wie es halt früher gute Praxis war.
Das passt freilich alles auch zu der grundsätzlichen Frage, inwieweit die Lagerbildung in der digitalen Welt die reale Welt de facto abbildet?! Nicht auszudenken, wenn das Metaverse die Konturen unseres Erlebens und Wahrnehmens noch weiter verzerrt.
These zwei: Don`t feed the troll!
Der Versuch, Desinformation als solche zu widerlegen, gelingt im Web-Dschungel kaum und gibt ihr in Wirklichkeit erst richtig Luft – sprich Sichtbarkeit. Man bläst das Feuer nicht aus, man facht es an. Renommierte Forschende reagieren? Wow. Da ist jemand einer ganz großen Sache auf der Spur. Das alles überhöht die Bedeutung des jeweiligen Fakes maßlos. Hunderte, tausende von Posts, Drukos, Tweeds und Re-Tweeds vergrößern nur die Halbwertszeit der algorithmischen Fußabdrücke dieser Desinformationen. Was uns zu These drei führt.
These drei: Social Media sind nur ein Business Modell
Wenn die Wissenschaft aufklären will und auf Teilhabe, auf Akzeptanz von Forschung und auf einen Konsens aus ist, dann sind die Sozialen Medien möglicherweise das falsche Tool. Oder eben eines, das mit großer Umsicht zu bedienen ist. Mit Verinnerlichung ihrer Mechanismen. Denn das Geschäftsmodell der Sozialen Medien fußt auf Algorithmen, die auf Alarm programmiert sind, auf Krawall, auf Konflikt. Der schlaue Programmierer und die clevere Programmiererin wissen das. Konsens ist nice, aber eben auch öde. Da schaut keiner so wirklich hin. Skandal, Emotionen, Wut, Aufregung, das triggert uns da doch gleich viel mehr. Deshalb privilegiert jeder dieser Algorithmen auch solche Inhalte, die empören, die spalten, die es richtig krachen lassen. Den beteiligten oligopolistischen Betreibern geht es ja nicht die Bohne um wertebasierte Kommunikation. Die Kommunikation ist lediglich Medium und Nährboden für deren Business. Und auf diesem Nährboden maximiert man Einnahmen aus personalisierter Werbung. Targeted Advertising, darum geht es. Das sollte man sich als Forschender (und wohl auch als jeder andere Mensch) bewusst machen, bevor man das nächste Mal auf seinen Touchscreen trommelt, um Aufklärung zu betreiben und/oder Fakes zu widerlegen. Ohne Feedback spült der Algorithmus auch die Fakes in den Orkus. Ohne groß Spuren zu hinterlassen. Deshalb: Lass Euch also nicht triggern.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.