Akademisierte Pflege braucht Perspektive
17.3.2023 | THD Pressestelle
Am 9. März tagte erstmalig in diesem Jahr wieder das Pflegenetzwerk Ostbayern an der Fakultät Angewandte Gesundheitswissenschaften der Technischen Hochschule Deggendorf (THD). Mit dabei die Arberlandkliniken, der BRK Kreisverband Deggendorf, die (Kinder-) Kliniken Passau, Landshut und Ingolstadt, Vertreter aus der Alten- bzw. Langzeitpflege sowie ein ambulanter Pflegedienst. Erneut war der Pflegenotstand Kernthema, aber auch der Einsatz akademisierter Pflegekräfte. Zusätzlich standen Neuerungen in der Heilkundeübertragung, der Bedarf an Ethikberatung, die Internationalisierung in der Pflege sowie das Staatsexamen im Studiengang Pflege auf der Agenda. Prof. Dr. Christian Rester von der THD erhält außerdem den Deutschen Pflegepreis 2022.
Die Gesundheitseinrichtungen klagen neben dem akuten Personalmangel über die fehlenden Stellen für akademisierte Pflegekräfte. „Wir haben riesigen Bedarf, die Entwicklung der Pflege voranzutreiben und müssen genau jetzt tätig werden. Die Perspektiven für akademisierte Pflegekräfte müssen schnell geschaffen werden“, verdeutlichte Prof. Rester, Dekan der Fakultät Angewandte Gesundheitswissenschaften und Leiter des Studiengangs Pflege, die Situation in Deutschland, die zunehmend dramatische Züge annimmt. Victoria Guggenthaler, Heimleitung des Pflegeheims Marienstift Straubing, konnte dem nur zustimmen. „In den Hochschulen fehlen die Studierenden, gleichzeitig werden die Patientenfälle immer komplexer. Die bereits spürbare Deprofessionalisierung der Pflege darf sich nicht weiter fortsetzen.“ Gerade in der Langzeitpflege gäbe es großes Potenzial für akademisiertes Pflegepersonal. Eine wissenschaftlich ausgebildete Pflegekraft könne eine Situation immer qualifizierter und besser bewerten. Daher sei nach Ansicht von Guggenthaler auch eine höhere Bezahlung gerechtfertigt, denn Qualität habe immer ihren Preis.
„Wir haben sehr von Studierenden profitiert“, schildert Michaela Meindl vom BRK Deggendorf. „Einer der Pflege-Studenten im zweiten Semester hat beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen angeleitet, anders mit einer bestimmten Patientin umzugehen. Ihr Zustand hat sich daraufhin massiv verbessert, sie musste letztendlich nicht verlegt werden.“ Aufgrund solcher Erfahrungen wolle man unbedingt mehr mit der THD in Austausch treten. Bezugnehmend auf dieses Beispiel, appellierte Rester an die Gesundheitsorganisationen „klare Positionen für akademisierte Pflegefachkräfte“ auszuschreiben. „Nur zusammen können wir dem Pflegenotstand entgegenwirken und das Berufsbild der Pflege stärken. Wenn Sie mir derartiges berichten, ist mein Ziel bereits erreicht.“, so der Dekan lächelnd.
Seit Januar 2023 muss nach Paragraph 64d Sozialgesetzbuch V in jedem Bundesland ein Modellvorhaben zur Heilkundeübernahme durch Pflegefachpersonen starten. Laut Daniel Schümann, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der THD, sei die Heilkundeübertragung eine große Chance für den Pflegeberuf und für viele Bestrebungen der THD von entsprechend großer Bedeutung. Beispielsweise für die Projekte rund um das Thema »Community Health Nursing«, also die Etablierung niederschwelliger Gesundheitsangebote und das Erarbeiten konkreter Lösungen in einer „gemeinsamen“ Versorgungspraxis.
Auch der Bedarf an Ethikberatung in der Gesundheitsversorgung wurde im Netzwerk besprochen. Ethische Herausforderungen in der Versorgung können beispielsweise Hierarchiekonflikte, Sterben und Tod oder Grenzen der Schweigepflicht sein. Seitens der THD ist langfristig der Aufbau eines Ethik-Cafés geplant mit Impulsvorträgen zu solchen Fragestellungen. Vorrangiges Ziel: Die Vernetzung von ethischer Expertise in der Region.
Die Fakultät Angewandte Gesundheitswissenschaften arbeitet außerdem an der Internationalisierung der Pflege. Das heißt im Detail, Erhöhung der Zahl internationaler Studierenden, Einrichtung von internationalen Double Degrees, Unterstützung bei der Integration internationaler Studierender in der Region, Kooperationen zwischen internationalen Hochschulen für den Austausch von Studierenden, Lehrenden und Wissenschaftlern. Laut Rester befänden wir uns in einem Branchenwettbewerb, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hätte. Daher sei man auch dringend auf internationale Studierende angewiesen. Auf die Frage, welche Erfahrungen bisher mit internationalen Pflegekräften gesammelt wurden, reagierten die Einrichtungen ähnlich: „Wir haben gute Erfahrungen gesammelt, aber es ist aufgrund der Sprachbarriere eine wahnsinnige Herausforderung.“, so Julia Oppenländer, Leiterin Klinikum Ingolstadt.
Abschließend referierte Stefan Brunner, Lehrbeauftragter an der THD, über das Staatsexamen im Studiengang Pflege. Aktuell bieten sieben Hochschulen in Bayern, mitunter die THD, das primärqualifizierende Pflegestudium an. Heuer und im kommenden Jahr finden die ersten hochschulischen Pflegeexamen der deutschen Pflegegeschichte statt. „Ein Meilenstein“ sagt Brunner, denn ab 2030 dürften nur noch akademisierte Pflegefachkräfte die Praxisanleitung ausüben. Neben den Inhalten der beruflichen Ausbildung werden im Studium Kompetenzen zur Steuerung und Gestaltung hochkomplexer Pflegeprozesse, die Erschließung der neuesten pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse, eine kritisch reflexive Auseinandersetzung mit theoretischem wie praktischem Pflegewissen sowie zur Qualitätsentwicklung erworben.
Fazit? Deutschland braucht so viele akademisierte Pflegefachkräfte wie möglich. Detaillierte Diskussionen sowie die Erarbeitung von ersten Lösungsansätzen finden Ende des Jahres in einer gemeinsamen Pflegeklausur statt.
Am Ende wurde Professor Rester eine besondere Ehre zuteil. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich gezeigt, dass die Pflege starke Persönlichkeiten braucht, um die beschriebenen Herausforderungen anzunehmen. „Eine dieser Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise und nachhaltig für die Pflege einsetzt, ist Prof. Rester“, verkündete Rupert Brenninger, der 1. Vorsitzender des Katholischen Pflegeverbands. Im Namen des Deutschen Pflegerats e.V. überreichte er Dekan Rester den Deutschen Pflegepreis 2022 als Anerkennung seiner besonderen Verdienste bei der Versorgung von Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf in Deutschland. Beim Deutschen Pflegepreis handelt es sich um die höchste nationale Auszeichnung im Bereich der Pflege.
Bild (THD): Das Pflegenetzwerk Ostbayern tagt an der Fakultät Angewandte Gesundheitswissenschaften an der THD