13.7.2015 |
Griechenlandkrise
Mehr Sachverstand in der Diskussion fordert THD-Experte Prof. Dr. Allinger
„Bürger müssen wieder verstehen was abläuft!"
„Der einfache Bürger auf der Straße hat schon längst den Überblick verloren und muss wieder verstehen was wirklich mit Griechenland abläuft", erklärt Prof. Dr. Hanjo Allinger von der Technischen Hochschule Deggendorf.
Prof. Dr. Hanjo Allinger ist Experte im Bereich internationale Ökonomik und Finanzwissenschaften. Prof. Allinger ist Studiengangkoordinator für Volkswirtschaftslehre an der Fakultät für Angewandte Wirtschaftswissenschaften der technischen Hochschule Deggendorf. Neben seiner Professur leitet Prof. Allinger das Münchner Institut für empirische Wirtschafts- und Sozialforschung INWISO. Seit 2013 ist Prof. Allinger Mitglied der renommierten Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Nach seiner Aussage sollte die öffentliche Diskussion um die Krise in Griechenland dringend „endemotionalisiert, versachlicht und wieder allgemein verständlich" geführt werden.
Nachfolgend beantwortet Allinger zentrale Fragen zur griechischen Wirtschaftskrise.
Wie ist Griechenland überhaupt in den Schlamassel reingerutscht?
Durch den Beitritt zum Euro 2001 sind die Zinsen für neue Kredite massiv gesunken. Nicht nur der Staat konnte sich nun für weniger als 5 Prozent über zehn Jahre verschulden – im Vergleich zu einem Zinssatz von 25 Prozent einige Jahre vorher, wirklich günstig. In der Folge brach ein kreditfinanzierter Boom aus: Erfreut über das günstige Geld verschuldeten sich Privatleute und Staat massiv – von 2001 bis 2007, also vor Beginn der Krise, hatte Griechenland seine Nettoauslandsschulden verdreifacht. Finanziert wurde damit ein Konsumniveau, das auch aktuell noch immer bei 114 Prozent (!) des Volkseinkommens liegt. In kaum einem anderen Land der Welt stiegen die Löhne und Gehälter in dieser Zeit so schnell wie in Griechenland mit +67 Prozent, nirgendwo wurde die Zahl der Staatsbediensteten in wenigen Jahren mehr als verdoppelt – letztlich alles auf Pump. Da die Wirtschaft aber nicht spürbar produktiver wurde, sondern durch höhere Lohnkosten in erster Linie teurer, verlor Griechenland im Vergleich zu allen anderen Euroländern an Wettbewerbsfähigkeit. Immer weniger Güter wurden exportiert, immer mehr wurden importiert – selbst Gemüse wird per Saldo importiert, weil Tomaten in holländischen Gewächshäusern inzwischen günstiger angebaut werden können als unter griechischer Sonne.
Warum hilft man Griechenland nicht mit einem Wachstumsprogramm?
So merkwürdig sich das anhört, aber Griechenland kann aus seiner Krise nur herausschrumpfen und nicht herauswachsen. Grund dafür sind die zu hohen Produktionskosten und daraus resultierenden Wettbewerbsnachteile. Solange nicht günstiger produziert werden kann, wird kein Unternehmer in Griechenland investieren wollen. Wie aber soll Wachstum entstehen, wenn nicht durch Investitionen? Es bliebe also nur, den Absatz künstlich durch staatliche Nachfrage oder Subventionen anzuheben. Nachhaltig wäre dies jedoch nicht: Ohne die staatliche Hilfe wäre die griechische Wirtschaft dann genau wieder dort, wo sie vor der Hilfe war. Nur mit geringeren Löhnen und Gesetzesänderungen, die es leichter machen ein Geschäft zu eröffnen, wird Griechenland später auch wieder wachsen können. Zusätzliche Kredite können bestenfalls mehr Zeit für die Reformen vermitteln, das griechische Problem lösen sie nicht.
Schafft die EZB inzwischen nicht mehr Fakten als die Politik?
Selbstverständlich sind nur gewählte Politiker dazu legitimiert, über die Zukunft eines Landes zu entscheiden. Die Aufgaben der Europäischen Zentralbank hat die Politik in Verträgen und eigenen Gesetzen vorgegeben. Ganz klar ist hier festgelegt, dass der Zentralbank eine monetäre Staatsfinanzierung – also die Kreditvergabe an Staaten verboten ist. Mit den Liquiditätshilfen für griechische Banken – bislang rund 90 Milliarden Euro – wird aber über den Umweg der Geschäftsbanken genau das getan. Die häufig staatlichen Banken in Griechenland nutzen die Liquiditätshilfen der griechischen Zentralbank zum Ankauf weiterer Staatsanleihen, um damit dem Staat kurzfristig Geld zu beschaffen. Gleichzeitig wächst die Abhängigkeit der Banken vom Staat immer mehr, denn am Kapitalmarkt sind diese Staatsanleihen so gut wie unverkäuflich. Nicht nur Bundesbankpräsident Weidmann hat das kritisiert – verhindert werden kann das jedoch nur durch einen EZB Beschluss, der mit Zwei-Drittel Mehrheit im Europäischen Zentralbankrat gefasst werden muss. So gesehen macht die EZB doch Politik: hätte sie sich an das Primat der Politik und deren Regeln gehalten, hätte sie die Liquiditätshilfen nicht in diesem Umfang gewähren dürfen und die ersten griechischen Banken wären in der letzten Woche insolvent geworden. Ein Euroaustritt wäre dann aber kaum noch vermeidbar gewesen.
Eine Vorabanfrage des Bundesverfassungsgerichts beim Europäischen Gerichtshof im Rahmen einer Klage gegen die OMT-Maßnahmen der EZB, die von den meisten gehörten Sachverständigen nicht als zulässige Geldpolitik, sondern als unzulässige Wirtschafspolitik kritisiert wurden, lief jedoch kürzlich teilweise ins Leere. In seiner schriftlichen Stellungnahme konstatierte der Generalanwalt des EUGH sinngemäß, dass die ganzen EZB Aktivitäten ja so kompliziert seien, dass Richter dies gar nicht bewerten könnten. Bestimmt wisse die EZB selbst am besten, was sie tue. Auch, wenn sich die obersten Richter dieser Formulierung in ihrer Stellungnahme nicht explizit angeschlossen haben, weckt dies doch die Sorge, das Recht könne vor der Komplexität der Finanzmärkte kapitulieren, anstatt diese in die vom Gesetzgeber bestimmten Grenzen zu verweisen. Man darf gespannt sein, wie das Bundesverfassungsgericht, das sich bereits zuvor in seiner Anfrage auf eine Einordnung als rechtswidrige Wirtschaftspolitik festgelegt hat, auf die Stellungnahme des EUGH reagieren wird.
Kann Griechenland zum Euroaustritt gezwungen werden?
Jein. Formal und juristisch nicht, faktisch aber schon. Wenn in der gegenwärtigen Situation die griechische Zentralbank den griechischen Geschäftsbanken keine Liquiditätshilfen mehr gewähren dürfte, könnten diese dem Staat keine Anleihen mehr abkaufen, und der Staat hätte schlicht kein Geld mehr seine Angestellten zu bezahlen. Kurzfristig würde sich die griechische Regierung dann nur mit Schuldscheinen helfen können. Sobald diese Schuldscheine aber nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt vom Staat eingelöst werden müssen – sie also keine spezifische Fälligkeit haben - könnte mit diesen Schuldscheinen bezahlt werden, wie mit normalem Geld. Die Anzahl der Waren die man zum Beispiel für einen 100€ Schuldschein kaufen könnte, hinge dann von dem Vertrauen ab, das die Menschen in die Einlösewilligkeit und –fähigkeit des Staates haben. De facto wäre damit bereits eine neue Währung geschaffen. Besser und gerechter wäre es jedoch, nicht nur die Einkommen der Staatsbediensteten in neuer, abgewerteter Währung auszuzahlen, sondern zu einem Stichtag per Gesetz für alle bestehenden Verträge eine Abwertung durchzusetzen. Damit könnte zum Beispiel sichergestellt werden, dass ein Arbeitnehmer nicht trotz halbierten Gehaltes die selbe Wohnungsmiete zahlen muss wie früher und dass Angestellte im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft gleichermaßen von realen Einkommenssenkungen betroffen wären.
Was spricht für einen Euroaustritt, was dagegen?
Für einen Euro-Austritt oder zumindest die parallele Einführung einer zweiten Währung spricht vor allem, dass Griechenland so in kürzester Zeit seine Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen könnte. Bei einer erwarteten Abwertung zum Euro von ungefähr 1:2 würden sich alle Importgüter im Preis verdoppeln, aber alle Exportgüter im Preis halbieren. Dies würde enorme Anreize freisetzen, die bereits erwähnten Tomaten wieder selbst zu produzieren. Gleichzeitig würde Urlaub in Griechenland schlagartig billiger und im Vergleich zu einem Türkeiurlaub für viele attraktiver. Griechenland hätte eine echte Chance wieder auf die Beine zu kommen.
Lebensnotwendige Güter, die nicht selber in Griechenland hergestellt werden können, würden sich leider wie andere Importgüter im Preis erhöhen. Bei Medikamenten beispielsweise müsste die Europäische Gemeinschaft durch Subventionen helfen, um die Behandlung von Kranken weiter sicherzustellen; vermutlich auch bei einigen Lebensmitteln.
Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass ein Euroaustritt vollkommen unabhängig von der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist.
Eine Sorge, die vor allem, aber nicht nur in Griechenland besteht, ist die Angst vor einer neuen Inflationsspirale. Zum Ausdruck kommt damit vor allem das fehlende Vertrauen in die eigene Staatsführung, der offenbar eine solide Geldpolitik nicht zugetraut wird.
Von politischer Seite - vor allem aus den USA - wird zum Teil befürchtet, dass Griechenland durch einen Grexit politisch labil würde und sich Russland nähern könnte. Auch wird vereinzelt ein neues Einfallstor für den islamischen Fundamentalismus befürchtet. Warum dies alles von der Nutzung einer Währung abhängen sollte, ist einem Ökonom jedoch nur schwer zu vermitteln. Schließlich zahlen von den 28 Ländern der Europäischen Union 19 nicht mit dem Euro ohne sich deshalb aber gleich dem Islamischen Staat angeschlossen zu haben. Von großer Bedeutung wird sein, wie gut es gelingt, Griechenland auch weiterhin politisch einzubinden.
Ernst zu nehmender sind die Befürchtungen, dass durch die offensichtliche Auflösbarkeit der Währungsunion sich Finanzmarkt-Spekulationen gegen andere kränkelnde Eurostaaten verstärken könnten. Aber auch das würde letztlich nur das tatsächliche Anlagerisiko wiedergeben und den mehr oder weniger künstlich reduzierten Reformdruck auch in diesen Staaten wieder erhöhen. Eine Gefahr des Übergreifens der Krise auf andere Staaten, wie sie noch vor einigen Jahren nicht zuverlässig ausgeschlossen werden konnte, besteht indes kaum noch. Dies zeigen auch die kaum vorhandenen Reaktionen der Finanzmärkte auf die Schließung der griechischen Banken.
Mit Sicherheit ist damit zu rechnen, dass durch einen Euro Austritt die bestehenden Hilfskredite nur noch zu einem Teil zurückgezahlt werden könnten. Letztlich wird damit aber die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands nur sichtbar, aber nicht verursacht. Angesichts der erwiesenermaßen zurückhaltenden Reformbereitschaft der griechischen Regierungen ist kaum zu erwarten, dass die Forderungsausfälle bei Gewährung weiterer Kredite geringer wären. Eher im Gegenteil: Durch die wirtschaftliche Erholung infolge der Abwertung könnte sich Griechenland vermutlich schneller und zuverlässiger wieder eigenständig an den Finanzmärkten refinanzieren. Wie viele weitere Hilfsprogramme zur Abfederung der Reformen in Griechenland ohne Währungsschnitt noch erforderlich würden, steht dagegen in den Sternen. Noch nie hat eine Konkursverschleppung einen Bankrott billiger gemacht, häufig dagegen teurer. Unterm Strich gehen daher die meisten Ökonomen in Deutschland davon aus, dass Griechenland mit einem (evtl. vorrübergehenden) Austritt aus dem Euro am besten geholfen werden könnte.
Hat der Sparzwang nicht alles schlimmer gemacht?
Das Gegenteil ist der Fall. Ohne die an Spar- und Reformauflagen gebundenen Kredite aus dem Ausland hätten die Märkte weit stärkere Anpassungen in viel kürzerer Zeit erzwungen. Nur zur Erinnerung: Griechenlands Bonität war zu Beginn der Hilfsprogramme so schlecht, dass es an den privaten Kapitalmärkten keine Kredite mehr zu vertretbaren Zinsen aufnehmen konnte. Die privaten Geldgeber glaubten schlicht nicht mehr, dass Griechenland weitere Kredite einigermaßen sicher zurückzahlen könnte. Ohne fremde Hilfe hätte Griechenland schon damals die fälligen Kreditraten und die Gehälter seiner Angestellten nur noch kurze Zeit bezahlen können.
Klar, die öffentlichen Kreditgeber hätten ihr Geld auch einfach ohne Reformauflagen bereitstellen können. Aber auch sie glaubten zu Recht nicht daran, dass eine Rückzahlung ohne Reformen der Sozialversicherungen, eine Verbesserung der Steuerverwaltung und Arbeitsmarktreformen sonderlich wahrscheinlich wäre. Leider hat Griechenland von den im Gegenzug für Kredite zugesagten Reformen nur wenige tatsächlich umgesetzt: Die Überprüfungen der EU-Kommission ergaben Ende 2014, dass von allen versprochenen Reform-Maßnahmen aus dem zweiten Rettungspaket bei rund jeder zweiten eine Umsetzung noch nicht einmal im Ansatz beobachtet werden konnte. Somit wird erklärlich, warum Griechenland immer weitere Hilfsprogramme, Rettungspakete und Schuldenschnitte brauchte und vermutlich auch in Zukunft ohne deutliche Reformen brauchen wird.
Wie sähe ein Euroaustritt praktisch aus? Wie geht das?
Je mehr Menschen bargeldlos mit Karte zahlen, desto einfacher ist die Umstellung. Überweisungen oder Lastschriften könnten quasi von heute auf morgen umgestellt werden. Vor allem Rentner verfügen in Griechenland jedoch häufig nicht über Scheck- oder Kreditkarten. Solange die neuen Banknoten noch nicht gedruckt sind, müssten hier vermutlich handelbare Schuldscheine der Rentenversicherung herhalten. Denkbar wäre auch, dass die Renten weiterhin in Euro ausgezahlt werden, allerdings abgewertet im Verhältnis der zur neuen Währung zum Euro. In vielen Ländern kann neben der Landeswährung auch in anderer, ausländischer Währung gezahlt werden. Wer einmal in Kroatien oder Mittelamerika Urlaub gemacht hat, weiß, dass dort in der Regel weder der Euro noch der US-Dollar beim Bezahlen abgelehnt wird. Nicht die Zahlungsmittelfunktion des Euros ist das Problem, aus griechischer Sicht ist es sein Wert.
13.07.2015 | THD-Pressestelle