29.6.2017 |
Kamingespräch des European Campus mit Prof. Werner Weidenfeld und Prof. Julian Nida-Rümelin
Was hat die Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA für Folgen für Europa? Ein Europa, das sich durch das Erstarken rechter Parteien und den Brexit ohnehin immer öfter mit der Sinnfrage konfrontiert sieht.
Trumps Präsidentschaft kann eine Chance sein – finden zumindest die Diskutanten beim jüngsten „Kamingespräch“ des European Campus Rottal-Inn. Sowohl Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld als auch Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin machten sich stark für das Europa, wie wir es heute kennen. Sie sprachen sich aber auch dafür aus, zwischen all der Einigkeit den Nationalstaaten nicht die Selbstbestimmung zu nehmen.Ein Streitgespräch, das wurde schon eingangs der Veranstaltung klar, das würden die Besucher im Reiffenstuel-Haus nicht erwarten können. Zu einig sind sich die beiden Professoren in der Frage, was es nun auf sich hat mit diesem vereinten Europa, politisch, sozial, kulturell. Julian Nida-Rümelin, einst Kulturreferent von München und Kulturstaatsminister im ersten Kabinett Schröder, lehrt an der LMU München unter anderem theoretische und angewandte Ethik, Entscheidungs- und Rationalitätstheorie. Werner Weidenfeld war von 1987 bis 1999 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit und ist Professor für Politische Wissenschaft ebenfalls an der LMU. Vor knapp zehn Jahren haben die beiden zusammen ein Buch veröffentlicht: „Europäische Identität: Voraussetzungen und Strategien“.
2007 war das Jahr vor der Finanzkrise, das Jahr vor dem großen Bankencrash, vieles hat sich seitdem verändert, das Buch indes, es hat seine Wahrheiten beibehalten. „Vieles darin stimmt heute mehr denn je“, sagt Professor Weidenfeld. Europa hat seine wahre Identität immer noch nicht gefunden, im Strudel der fortschreitenden Globalisierung, ergänzt Prof. Julian Nida-Rümelin, ist es in Schieflage geraten. Ein Beispiel, das Bände spricht: Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 an die EU. Weidenfeld erinnert sich an die Bekanntgabe der Preisträger damals, an die ratlosen Gesichter der Journalisten, die so gar nichtsmit der Verkündigung anfangen konnten und die ebenso vorherrschende Unschlüssigkeit, wer denn nun für die EU den Preis entgegen nehmen dürfe. So ganz genau weiß man nicht, wer für dieses vereinigte Europa eigentlich steht, selbst innerhalb der EUnicht,weshalb damals, 2012 inOslo, dann auch drei Personen den Friedensnobelpreis entgegen nahmen: die Präsidenten des Europäischen Rates, der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments.
Viele solcher Beispiele zählt Professor Weidenfeld an diesem Abend auf, heitere Anekdoten und ernsthafte Geschichten, die zeitweise die Besucher verblüfft die Köpfe schütteln lassen. Die Moderatoren des Abends, Prof. Dr. Horst Kunhardt, Leiter des European Campus Rottal-Inn, und Hochschulkoordinator Georg Riedl, verbleiben ob der beiden routinierten wie leidenschaftlichen Referenten gerne in der Zuhörerrolle. Auch der Diskussionsbedarf im Anschluss, er hält sich mit vier Beiträgen aus dem Auditorium in Grenzen. Weidenfeld und Nida-Rümelin, sie geben Europa nicht verloren, nicht jetzt, da die Wahl von Donald Trump US Präsidenten die ganze Welt erschüttert hat. Eine Wahl, die, denkt man ein wenig darüber nach, gar nicht so sehr überrascht, analysiertNida-Rümelin. „SeitMitte der 70er Jahre haben Menschen ohne College-Abschluss keine Steigerung der Realeinkommen mehr erlebt. Dieses Land ist sozial nicht mehr in Ordnung, soziale Inklusion findet nicht mehr statt.“ Die USA, dieses Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann, es hat den Status der „Aufbruchsgesellschaft“, so Weidenfeld, verloren, der „AmericaWay of Life“, er wird längst nicht mehr von allen gegangen.Nun, da der neue Präsident sein eigenes Land in den Fokus rücken will, kann sich Europa emanzipieren vom einstigen Partner jenseits des Atlantiks, sich positionieren und eigene Wege gehen – beispielsweise, um europäische Konflikte zu lösen. Wenn Trump sagt, aus der Ukraine-Krise wolle sich ein Amerika unter seiner Regentschaft heraus halten, kann das eine Chance sein, sagt Nida-Rümelin: „Hier könnte Europa stärker agieren, wenn die USA nicht mehr als Mitspielermit imRing sind.“ Gleichzeitig kann Europa aus den Gründen, die zur Wahl von Donald Trump geführt haben, lernen. Es kann lernen, dass soziale Gerechtigkeit eine große Rolle spielen muss, dass es vielleicht ein Fehler war, eine Währungsunion jenseits des ökonomischen Sachverstandes realisieren zu wollen.
Europa wird noch bestehen, auch wenn es mit der Währungsunion nicht hundertprozentig klappen sollte, ist Nida-Rümelin überzeugt. Mehr Kompetenz zurück zu den Nationalstaaten, im Gegenzug mehr Energie in eine gemeinsame EU-Außenpolitik stecken, und vielleicht darüber nachdenken, dass es mehr als nur dieses eine Europa gibt: Das Kerneuropa, das den Euro als Zahlungsmittel hat, dann das Europa der EU, dann ein dritter, erweiterter Kreis, zu dem England auch nach dem Brexit noch gehört, und als vierter Kreis Europa mit all den Ländern, die mit ihm eng verbunden sind – die Schweiz zum Beispiel. Europa hat eine Zukunft, da sind sich Prof. Werner Weidenfeld und Prof. Julian Nida-Rümelin einig , wenn es nach außen als Akteur wahrgenommen wird, und trotzdem die Nationalstaaten dabei nicht alle Kontrolle verlieren.