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"Big Data" im Woid

4.10.2016 |

Technologie Campus Grafenau bringt Expertise bei Datenanalyse in EU-Projekt ein – Vor allem kleine und mittlere Unternehmen können profitieren von Sebastian Fleischmann

pnp 2017 1 21Dr. habil Robert Hable leitet das Projekt am TC Grafenau

Grafenau. Vom gläsernen Konsumenten bis hin zu völlig neuen Geschäftsmodellen, die quasi über Nacht ganze Branchen überflüssig machen: Das Schlagwort "Big Data" regt die Fantasie an − wenn auch nicht immer im Positiven. "Oft wird das Bild einer disruptiven Neuerung gezeichnet", erklärt Dr. habil Robert Hable zu den Potenzialen, die in den dank zunehmender Digitalisierung riesigen verfügbaren Datenmengen stecken. Doch viele Ängste seien unbegründet, meint der Forschungsleiter "Big Data Analytics" am Technologie Campus Grafenau (TCG). Der Wissenschaftler glaubt nicht an einen derart radikalen und zerstörerischen Wandel. Im Gegenteil: Die meisten Unternehmen könnten sogar massiv von den Erkenntnissen profitieren, die in den großen Datenmengen stecken.

Mit einem EU-geförderten Workshop- und Seminarangebot sowie mit Unterstützung der IHK Niederbayern will die Außenstelle der Technischen Hochschule nun kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) genau dazu Starthilfe geben und Berührungsängste abbauen. Das kostenlose Bildungsangebot ist Teil des seit Juli 2016 laufenden EU-Projekts "Internationales Big Data Zentrum Ostbayern-Südböhmen", für das der TCG

"Auch in der Industrie riesige Potenziale"

pnp 2017 1 21Im Rechenzentrum am Technologiezentrum in Písek sind die IT-Infrastruktur und die nötigen Serverkapazitäten für das Projekt vorhanden, in Grafenau werden die Algorithmen entwickelt. − Fotos: TCG/Thomas Jäger

zusammen mit dem Technologiezentrum Písek in Südböhmen den Zuschlag erhalten hat. Gemeinsam sollen Werkzeuge entwickelt werden, die KMU in Sachen "Big Data" unterstützen. Während in Písek IT-Infrastruktur und Serverkapazitäten vorhanden sind, steuere der TCG das Know-how in der Datenanalyse bei, beschreibt Hable. So würden in Grafenau etwa die zur Auswertung notwendigen Logarithmen entwickelt.

Über relevante Datensätze, in denen wichtige Erkenntnisse schlummern können, verfügt Hable zufolge bereits ein Großteil aller Unternehmen: Er nennt etwa die Kassensysteme im Handel, aber auch die Dokumentationsdaten, die Fertigungsanlagen in der Industrie aufzeichnen. "Die Daten alleine bringen allerdings erst einmal nichts", erklärt Hable. Der konkrete Nutzen entstehe erst aus deren gezielter Auswertung, sei es durch statistische Verfahren, sei es durch "lernende" Algorithmen.

Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig: Hable berichtet etwa von einem Projekt zu Absatzprognosen im Modeversandhandel. Anhand zahlreicher Daten – angefangen bei der Größe der Katalog-Abbildung eines Kleidungsstücks bis hin zum Verkaufspreis – lasse sich hier eine relativ exakte Vorhersage über die Verkaufszahlen treffen: "Unsere Prognosen sind im Durchschnitt genauer als die von Branchenexperten, die sonst den Einkauf planen."

Den Handel sieht Hable in Sachen "Big Data" nicht zuletzt aufgrund des Kostendrucks in der Branche in einer Vorreiterrolle. "Aber auch in der Industrie gibt es riesige Potenziale", erklärt er – und nennt etwa den Bereich der "Vorausschauenden Instandhaltung". Denn bisher erfolge die Wartung einer Anlage in der Regel nach einer vorgegebenen Zahl von Betriebsstunden. Dabei werde aber nicht berücksichtigt, ob die Anlage auf Volllast oder nur mit halber Kraft laufe. "Jede Maschine hat ihre eigene Lebensgeschichte", sagt Hable. Je nach Intensität der Nutzung lassen sich ihm zufolge die Wartungsintervalle flexibel gestalten. Dies könne etwa Produktionsunterbrechungen durch die frühzeitige Abnutzung von Verschleißteilen vorbeugen. Aber auch in der Finanzbranche sieht er Einsatzmöglichkeiten – zum Beispiel in der Betrugsprävention. So könnten dubiose Zahlungsvorgänge automatisch herausgefiltert werden.

Die Datenerfassung sei freilich nur der erste Schritt, als zweiter folge der Einstieg in die Auswertung. Hier sieht Hable bereits eine erste Fehlerquelle: Zahlreiche Unternehmen hätten zwar bereits viel Geld in Hard- und Software für die Datengewinnung gesteckt. Aber an der Analyse hapere es vielfach noch, oder wie er es formuliert: "Die Ernte wird nicht eingefahren." Denn ein wenig zielgerichtetes Durchforsten der Daten führe meist nicht zum Erfolg. "Unternehmen müssen sich zunächst Gedanken machen: Welches konkrete Problem wollen wir lösen?", so Hable. Hier helfe der Kontakt zu professionellen Datenanalysten.

Das EU-Projekt soll nun einen gleich doppelten Nutzen bringen: Einerseits erhalten Unternehmen in Workshops und Seminaren kostenlos erste Einblicke in das Reich von "Big Data". Andererseits erhofft sich der TCG selbst durch den direkten Kontakt mit Betrieben Impulse für konkrete und praxisrelevante Forschungsansätze. Mit einem Gesamtbudget von 1,6 Millionen Euro wurde das auf drei Jahre angelegte EU-Projekt zum 1. Juli 2016 gestartet. Rund 960000 Euro sind allein für die Leistungen des TCG veranschlagt, der Löwenanteil davon – knapp 820000 Euro – fließt aus EU-Fördertöpfen an die Forschungseinrichtung.

Für ein Pilotprojekt suchen die Projektpartner laut Forschungsleiter Hable auch noch Teilnehmer: Gesucht seien KMU aus dem grenznahen Raum, die sich und ihre Daten für umfangreiche Auswertungen zur Verfügung stellen. Die Betriebe müssten den Wissenschaftlern zwar ihre Daten anvertrauen, diese würden aber im Rechenzentrum in Písek unter höchsten Sicherheitsstandards verwahrt. Profitieren könnten die Betriebe dann von der für sie kostenfreien Analyse des Datenmaterials. Um das abstrakte Thema "Big Data" samt den damit verbundenen Chancen auch der Bevölkerung näherzubringen, soll am TCG zudem ein Demonstrations-Labor eingerichtet werden.

"Mensch wird dadurch nicht überflüssig"

So könnten auch Vorbehalte ausgeräumt werden, etwa dass sich "Big Data" als Jobkiller erweise, meint Hable. "Ich glaube nicht, dass der Mensch irgendwann überflüssig wird", sagt er. Denn die Algorithmen wirkten stets nur "entscheidungsunterstützend". "Anschauen muss sich die Ergebnisse am Ende immer ein Mensch."

WORKSHOP IN GRAFENAU

Den Auftakt der Veranstaltungen im Rahmen des EU-Projekts bildet am Donnerstag, 23. März, am TC Grafenau der kostenlose Workshop "Big Data – erste Schritte wagen", der sich vor allem an KMU aus der Grenzregion richtet. Als Referenten sind u.a. Katharina Spatz und Marc Paul Günnewich von der Passauer Kommunkationsagentur Minzgrün ("Kenne deinen Kunden. Chancen ergreifen mit Google Insights"), Jan Pokorny vom TC Písek ("Internet of Things und Sensoren im Unternehmen") und Dr. habil Robert Hable vom TCG ("Daten im Unternehmen effektiv nutzen – Praxisbeispiele und Handlungsempfehlungen") dabei. Infos und Anmeldung unter www.bigdatacentrum.eu/de/ #conference

 21.01.2017  PNP – Regionalausgabe FRG