6.7.2015 |
Ostbayern wird exzellenter Standort für Digitalisierung
Unis und Hochschulen in Niederbayern und Oberpfalz vernetzen ihre Digital-Kompetenzen und hängen so selbst große Konkurrenten ab
Passau. Wer meint, Digitalisierung beschränke sich im Wesentlichen auf den Heim-PC mit Internetzugang, ein paar soziale Netzwerke wie Facebook und einige mehr oder minder interessante Funktionen auf den Smartphones, der irrt. Wie eine Lawine überrollt die Digitalisierung derzeit Wirtschaft und Gesellschaft und die Dinge, mit denen wir uns umgeben. Oftmals unterhalb der Schwelle, die wir im Alltag wahrnehmen. Tatsächlich aber ist die Digitalisierung der Megatrend der Zukunft, daran lassen Experten keinen Zweifel.
Bisher war Digitalisierung vor allem von der Technologie getrieben: Computer wurden immer schneller und kleiner, Datenleitungen immer leistungsfähiger – das ermöglichte allerhand neuartige Anwendungen. Die nächste Stufe der Digitalisierung, auch da sind sich Experten einig, wird von völlig anderen Dingen getrieben sein: Wie sind die extrem große Datenmengen (ein Auto kann heute während einer kurzen Fahrt bereits Millionen von Daten sammeln, über Fahrbahn, Witterung, Umwelt, Verkehr und Fahrverhalten) nutzbringend analysierbar? Wem gehören diese Daten überhaupt? Wie lassen sich Recht und Sicherheit auch in der digitalen Welt gewährleisten? Welche ethischen und sozialwissenschaftlichen Veränderungen gibt es durch die Digitalisierung? Derartige Fragen vermögen die Technologieexperten in Unternehmen und Hochschulen, die bisher die Digitalisierung vorangetrieben haben, nicht mehr alleine zu beantworten.
Ostbayerns vergleichsweise kleinen Universitäten und Hochschulen schicken sich nun an, Antworten zu liefern, wo derzeit selbst Münchner Elite-Unis versagen würden. Möglich macht das ein Netzwerk, das es bisher nirgendwo sonst gibt. Sämtliche Hochschuleinrichtungen in Niederbayern und der Oberpfalz, die Unis in Passau und Regensburg sowie die Hochschulen in Deggendorf, Landshut, Regensburg und Amberg-Weiden, werfen ihre Digital-Kompetenzen zusammen, und zwar interdisziplinär: IT-Experten und Juristen, Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler, Ärzte und Ingenieure arbeiten künftig gemeinsam an neuen Fragestellungen der Digitalisierung.
Vor einem Jahr startete das Projekt mit einer Idee und vielen Gesprächen, gestern unterschrieben die Präsidenten der Unis und Hochschulen in Neuburg am Inn formal ein Übereinkommen zur Zusammenarbeit – im Netzwerk Internet und Digitalisierung ostbayern (INDIGO). Dass sich Wissenschaftler in Superlativen ergehen, kommt eher selten vor – gestern war so ein Tag: Von "Mission" und "Meilensteinen" sprach etwa der Präsident der Uni Passau, Prof. Burkhard Freitag. Prof. Erich Bauer von der Hochschule Amberg-Weiden zeigte sich überzeugt, INDIGO werde "eine riesige Erfolgsgeschichte" und Ostbayern "eine Region des Wissens, der Forschung, der Bildung und der Umsetzung". INDIGO sei "die beste Initiative der letzten zehn Jahre, das wird etwas ganz Großes, das wir hier auf die Beine stellen", befand der Präsident der Hochschule Deggendorf, Prof. Peter Sperber. Der Präsident der Uni Regensburg, Prof. Udo Hebel, sprach von einem "markanten Aufschlag" – mit INDIGO mache sich Ostbayern nicht nur bei den hiesigen Unternehmen bekannt, sondern weit über die Region hinaus. Denn eines ist für die Uni- und Hochschulchefs klar: Man wolle Magnet sein – für Studierende, für interessierte Unternehmen und für Fördermittel, etwa, um als nächsten Schritt eine gemeinsame Geschäftsstelle einzurichten und Gründer besser zu unterstützen. Später sollen Forschungsmittel und Stellen folgen.
Den ersten Förderbescheid überreichte die in Bayern für die Digitalisierung zuständige Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) gleich gestern – 5,6 Millionen Euro für ein Internetkompetenzzentrum. Zu tun werden die nun im Netzwerk vereinten Unis und Hochschulen viel haben: Der Passauer Wirtschaftsprofessor Robert Obermaier prophezeite während einer Auftakttagung gestern in der Uni Passau, so wie das Internet den Handel revolutionierte, werde bald im Mittelstand "kein Stein auf dem anderen bleiben". Das allerdings gelte nur, so Dirk Pollert, stv. Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, wenn er sich nicht auf die Digitalisierung vorbereite – die Stärke gerade Bayerns sei seine Industrialisierung, "und produzieren kann die Cloud nicht". Angst haben müsse man nicht, sich vorbereiten schon, so Pollert. Martin Frank, stv. Hauptgeschäftsführer der IHK Niederbayern, brachte es auf den Punkt: "Früher haben wir Motoren hergestellt und verkauft. Heute stellen wir Motoren her und verkaufen die Software dazu. Künftig stellen wir Software her und verkaufen die Motoren dazu."
München jedenfalls signalisierte bereits gestern hohe Aufmerksamkeit für das INDIGO-Netzwerk: Es sei beachtlich, wie die sechs Hochschulen "bei einem großen Leit- und Zukunftsthema" ihre Kräfte bündelten, so Hochschulstaatssekretär Bernd Sibler (CSU). Eine Mahnung nahm er allerdings nach München mit: Das Projekt schnelles Internet in Ostbayern dürfe nicht 2018 bei 50 Megabit enden.
04.07.2015 | PNP-Alexander Kain